Experten-Vortrag von Jonathan Grothaus am 2.Mai 2024: „Die 1,5 bis 2 Grad Begrenzung ist unstrittig, nur der Weg dahin ist verhandelbar“

„Die 1,5 bis 2 Grad Begrenzung der Klimaerhitzung ist nicht strittig, nur der Weg dorthin!“

Am 2. Mai 2024 begrüßten wir den Physikdidaktiker Jonathan Grothaus zum Expertenvortrag im Rahmen der Dienstantrittsveranstaltung der neuen Referendarinnen und Referendare.

Aus der Vorarbeit an Tag 1 zur Vorbereitung auf die Moderation eines kurzen Klassengesprächs über Klimaschutz, das am Nachmittag von Tag 2 moderiert werden sollte, standen die folgenden Fragen im Raum:

  • Welche Rolle sollten private sphere actions spielen, wenn man mit Jugendlichen über Klimaschutz spricht?
  • Sollten man damit anfangen oder doch besser über die viel wirksameren public sphere actions sprechen?
  • Wie kann ich Kinder motivieren, die vielleicht wenig Zeit finden, zusätzlich zum Schulalltag auch noch über Klimaschutz bzw. über den Schutz Ihres Lebens in Freiheit vor dem katastrophalen Folgen der Klimaerhitzung nachzudenken?
  • Soll es jetzt auch nur noch um Wirksamkeit gehen, um Effizienz (wenn nur die großen Emissionsquellen thematisiert werden sollen)? Es müsste doch auch um Haltungen und Normen gehen, oder?  
  • Und darf ich Kinder überhaupt zu Engagement und zum Demonstrieren motivieren? Ist das nicht Überwältigung? Dann wäre doch der Beutelsbacher Konsens verletzt!?

Teacher Guessing: Grothaus begann mit einer Übung, die er teacher guessing nennt und fragte:

Einiges wurde richtig, anders falsch eingeschätzt. Nein, Jonathan Grothaus hat keinen Hund und ist von Zeit zu Zeit auch Fleisch. Seine Lieblingsfarbe ist aber grün.

„Warum teacher guessing? Ich will transparent machen, aus welcher Perspektive ich spreche. Bildung kann nicht nicht politisch sein, Unterricht kann nicht nicht politisch sein, Wissenschaft kann nicht nicht politisch sein. Wir kommen ehrlicher ins Gespräch, wenn Sie wissen, von welcher Position aus ich denke und spreche.“ Zur Zeit arbeitet er an einem Promotionsvorhaben zur Frage, „wie so unterrichtet werden kann, dass in der Klimabildung das Knowledge-Handlungs-Gap überwunden werden kann.“

Im Schülerlabor arbeitet er regelmäßig mit Schülerinnen und Schülern zu Klimafragen und in Erwachsenenseminaren zur Frage „Wie zur Klimakrise lehren?“

Es zeigt sich, dass sich viele zutrauen, individuellen Klimaschutz zu betreiben, viel weniger aber trauen sich kollektives Handeln für Klimaschutzpolitik zu.

Grothaus beendet die Übung mit den Worten: „Sie sehen hier deutlich, dass in Sachen Klimabildung noch viel getan werden muss!“.  

In seinem Schülerlabor    Labs4Future    , das er bereits mit 800 Schülerinnen und Schülern durchgeführt und beforscht hat, sieht sein Versuch, mit Klimabildung ein Verständnis für Klimastrukturreformen zu vermitteln, wie folgt aus: Ausgehend von einem Extremwetterereignis setzen sich die Lernenden im Rahmen eines Mystery-Quiz mit der Frage auseinander, wie in Zukunft verhindert werden kann, dass es immer Klimatote durch Klimaerhitzung geben wird. Dabei stehen Handlungen für eine klimastabile und unsere Freiheit und unseren Wohlstand sichernde Zukunft im Zentrum von Tag 2:

Durch sogenannte „Klimataler“ macht Grothaus anschaulich, wie individueller Waren-, Energie- und Mobilitätskonsum und gesellschaftliche Strukturen zusammenhängen.

Er geht bei der Berechnung der Klimawährung „Klimataler“ davon aus, dass im Jahr 2030 alle Deutschen für das Erreichen des Klimaziels für das Jahr 2039 100 Taler pro Tag erreichen müssen! Ein Treibhaustaler entspricht 94g CO2-Emissionen. Durch Umrechnung kommt man z.B. darauf, dass der Besitz eines Autos, das vor der Tür steht, 22 der 100 Treibhaustaler benötigt. Ein Flug / Jahr in USA = 100 THT, d.h. das komplette Budget. Fliegt man allerdings nur 1x alle 5 Jahre, dann sind es nur 20 THT/Tag und es ist Platz für anderes.

Die Schülerinnen und Schüler lernen im      Lab4Future      , dass es individuelle Verhaltensänderung braucht, dass es aber ohne politisch eingeforderte und gestaltete Strukturveränderungen nicht geht. Denn man sieht an den Klimatalern, dass man beim Fortbestand der aktuellen heutigen Produktionsstrukturen von Energie und Mobilität selbst bei ganz klimaschonendem individuellem Verhalten deutlich über die 100 Treibhaustaler kommt.

Es braucht also Strukturreformen. Wie aber verändert sich Gesellschaft?

Grothaus verweist darauf, dass beforscht wird, wie sich Gesellschaft fortwährend verändert. Was weiß man aus der Forschung über Transformationsprozesse?

Es gibt externe Kontexte, die einen Veränderungsdruck auslösen. Photovoltaik wird günstiger und effizienter, und das in einer exponentiellen Weise.

Die gesetzliche Regelung ändert sich und man kann so z.B. ohne bürokratische Hürden selbst Strom aus Sonnenenergie erzeugen. Darüber hinaus werden gesetzliche Regelungen so verändert, dass die Produktion von Sonnen- und Windenergie in der notwendigen Menge durch Großanlagen möglich wird. Das wurde viel Jahre lang politisch nicht gewollt und nicht gesteuert.

Und so kommt es, dass Menschen damit beginnen, ihren Stromkonsum umzugestalten.  Der relevante Effekte der Balkonphotovoltaik wird für Grothaus nicht die Menge des Stroms, sondern schon das politische Umdenken im Sinne der erneuerbaren Elektrifizierung unserer Gesellschaft, wenn man sich überlegt: Wann schalte ich die Waschmaschine an?

Wie kommt die politische Unterstützung zustande, die es für Strukturreformen braucht?

Grothaus fokussiert drei Formen des Handelns: „ ‚individuelles Handeln‘ – ‚Akzeptanz von politischen Maßnahmen als Haltung‘ – ‚gesellschaftliche Partizipation*‘“.

* Auch mit Nachbarn, Freunden oder in der Familie über die Akzeptanz von Maßnahmen sprechen gehört für Grothaus zur gesellschaftlichen Partizipation!

Grothaus unterstreicht: „Jede Handlung ist wichtig. Aber am wirksamsten ist „strategisch-politisches Handeln“.

Kollektives Handeln muss trainiert werden.

Deshalb leitet Grothaus eine dritte Übung an. Die Teilnehmenden versuchen in Partnerarbeit ihren Sitznachbarn oder ihre Sitznachbarin von einer Strukturveränderung im Heimatort zu überzeugen:

Die Veränderungen sollen möglichst alle für das Erreichen des Pariser Klimaschutzabkommens relevanten Bereiche abdecken:

Die Übung kürzt Grothaus ab. Im     Lab4Future    würde noch folgen, davon zu berichten, welche Idee als am wirksamsten eingeschätzt wird:

War lernen Schülerinnen und Schüler durch die Übung?

Zunächst einmal, dass Fußabdruck und Handabdruck wichtig sind:

Und dass man für einen hohen Handabdruck üben muss, für die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen zu werben, zu überzeugen:

Denn es wirken in Gesprächen über Klimaschutz immer wieder typische Klimaschutzbrems-Argumente. Es ist sinnvoll, zu trainieren, wie man auf diese gut reagiere kann, z.B. wie man auf den technologischen Optimismus reagiert, der immer wieder bemüht wird, aber übersieht, dass wir keine Zeit mehr haben, auf neue Erfindungen zu warten. Klimaschutz muss schnell erfolgen:

Mit den Übungen wird nachvollziehbar, wie Grothaus sich vorstellt, durch Klimabildung die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen:

Es sind eine Vielzahl von Faktoren, die Handeln auslösen können, es braucht Betroffenheit, Problembewusstsein, Einstellungen, Gerechtigkeitsempfinden usw.

Alle, die sich für die Treibhaustaler interessieren, können diese in einer PPT downloaden oder für ihre Schulen in Karton gestanzt für 12 Euro bestellen (das Studienseminar wird einige Taler-Sets besorgen).

Dazu stellt Grothaus mit seinem Team gerade Unterrichtsmaterialien für viele Unterrichtsfächer zusammen:

Im abschließenden Austausch klären sich eine Reihe der Fragen, die zu Beginn noch unbeantwortet im Raum standen:

Grothaus würde Gespräche über Klimaschutz nicht mit den individuellen Klimaschutzmaßnahmen beginnen, sondern mit dem public sphere actions.

Motiviert seien die Kindern in den Lap4Future Veranstaltungen allemal. „Sie wollen dazu arbeiten und mit Erwachsenen darüber sprechen, was getan werden kann, ist meine Erfahrung!“

Und deutlich wird, dass der Beutelsbacher Konsens falsch ausgelegt werden kann. Denn er fordert keine Neutralität und keine falsche Kontroversität zu Dingen wie der Klimaerhitzung, die gar nicht mehr strittig sind. Kinder dürfen nicht gezwungen werden, sich zu engagieren. Aber es ist in ihrem Interesse, sich für Klimaschutz und ein Leben in Freiheit, geschützt vor den Folgen der Klimaerhitzung zu engagieren. Das ist durch den Beutelsbacher Konsens gedeckt und in ihm sogar explizit enthalten. Wer mehr wissen will, findet auf der Homepage des Studienseminars einen ausführlichen Text zu Klimabildung und Beutelsbacher Konsens.

Hier der Link zum Text: https://sts-gym-badvilbel.bildung.hessen.de/ausbildungsschulen/beutelsbacherkonsensklima.pdf

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert