Im Unterricht sollte es im Kern darum gehen, komplexe Sachen besser zu verstehen und Handlungsfähigkeit (oft sagt man hierfür „Kompetenzen“) zu erwerben. Was das genau bedeutet, kann man gut an der „komplexen Sache“ ‚Klimaschutz‘ sehen, die im Zentrum der zweitägigen Dienstantrittsveranstaltung stand. Mats Bednarczyk unterstützte die Veranstaltung mit einem Impulsvortrag.

Wie bereite ich meinen Unterricht vor, in dem Komplexes besser verstanden wird und in dem Kompetenzen erworben werden? Wie können Schülerinnen und Schüler die Klimakrise verstehen und zugleich Handlungsfähig werden?
Egal zu welcher thematischen Fragstellung Sie unterrichten: Sie sollte sich zunächst stets notieren, welche Fragen Sie sich selbst stellen, was Sie leidenschaftlich interessiert, dann was sich die Schülerinnen und Schüler fragen könnten und drittens welche fachlichen Fragen die Sache aufwirft, die Sie verstehbar machen wollen. Schritt 3, die Klärung der Fragen, die die Sache aufwirft, ist häufig eine Herausforderung. Denn nicht immer sind wir schon Expertinnen oder Experten der Sache, die wir unterrichten. Deshalb macht es Sinn, zur Unterrichtsvorbereitung mit Menschen zu sprechen, die Expertise haben. Das können erfahrene Lehrpersonen sein, aber auch Menschen außerhalb der Schule sein. Mit großem Interesse folgten die 53 neuen Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst dem Impulsvortrag von Mats Bednarczyk, der als Experte für Strom und Energiewende tätig ist.

Ein Klassengespräch über den Kurzfilm „Ihr habt es in der Hand“ führen: Wie geht das?
Mats Bednarczyk arbeitet als Referent Energiesysteme für einen Stromversorger, der als Genossenschaft organisiert ist, Strom verkauft und produzieren lässt. „Ich bin Eigentümer meiner Firma. Wir sind ein politisches Unternehmen und wollen etwas tun für die Energiewende. Wir erstellen 8-10 Studien pro Jahr. Jetzt fangen wir an, Podcasts zu machen. Wir legen Beschwerden ein, wenn energiepolitisch etwas falsch läuft“.
In einer ersten Mentimeterabfrage wird deutlich: Die Teilnehmenden sind motiviert, in der Schule über die Klimakrise zu sprechen, wünschen sich aber mehr Informationen.

Die typische Kommunikation über Klima ist problematisch
Mats Bednarczyk zeigt einige typische Beispiele dafür, wie die Klimawissenschaft über die Klimakrise kommuniziert.

„Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir dank der Klimawissenschaft die Fakten kennen. Denn alle Simulationen durch klimawissenschaftliche Modelle werden seit langem durch die gemessenen Temperaturen bestätigt. Die Fakten liegen also auf dem Tisch! Wir müssen uns aber fragen: Was macht man dann damit? Wie wirken diesen Fakten z.B. auf 14 jährige Schülerinnen und Schülern? Inwiefern zieht das? Wenn wir ihnen klar machen, dass in 3,5 Jahren wohl das 1,5 Grad Ziel überschritten werden wird?“
„Wie kommt man zum Einstellungswandel ‚Ich werde mich einschränken oder andere Wege für Klimaschutz suchen!?‘“
Die mediale Berichterstattung zu Klimaschutz kann abschrecken

Bednarczyk verweist auf die mediale Berichterstattung, die die Kinder kennen. Sie werden mit Extremwetterereignissen konfrontiert und mit reißerischen Schlagzeigen gegen die Klimabewegung:
„Klimakleber: Diese Aktionen sind komplett gescheitert.“
„Unsozialer Heizhammer belastet Geringverdiener“
„Mit der Energiewende in den Blackout“ ÖRR / MDR
Warnungen sind zwar wichtig, können aber auch abschrecken. Hoffnungslosigkeit / Doom-Szenarien sind faktisch korrekt, gehen aber an den SuS vorbei, Dringlichkeit und Kosten rufen Widerstände hervor, entweder reaktiv oder strategisch.
Eine gute Recherche durch Correctiv (www.correctiv.org) hierzu liegt vor und ist lesenswert.
Wir brauchen neue, positive Narrative!
In Kleingruppen sammeln die Teilnehmenden Positiv-Erzählungen und stellen diese dann vor:
- Der Anstieg der erneuerbaren geht schneller, als prognostiziert.
- Der Ausbau der erneuerbaren Energieb hat neben dem Umweltschutzaspekt den Vorteil der Autarkie.
- Erfolgserlebnisse wie das Schließen des Ozonlochs machen Hoffnung.
- Die Gewöhnung an Maßnahmen steigt: es wird akzeptabel, dass man kein Auto hat, dass es Photovoltaikanlagen, Windräder gibt.
- Man beobachtet, dass es mehr sichere Fahrradwege gibt, gerade in Frankfurt.
- Es gibt Anreize, den ÖPNV zu nutzen.
Bednaryzk ergänzt weitere Beispiele:
In einer Anzeige von Badenwerk Karlsruhe / Bayernwerk München / EVS Stuttgart / Neckarwerke Esslingen / Preußen Elektra Hannover RWE Energie Essen / TWS Stuttgart / VEW Dortmund konnte 1993 noch behauptet werden:„auch langfristig kann nicht mehr als 4% unseres Stromverbrauchs aus erneuerbaren gedeckt werden“. Heute aber sind es schon deutlich über 60%.

Die Entwicklung der THG-Emissionen ist auch eine Erfolgsgeschichte: Wir haben schon 50% Reduktion in nur 35 Jahren erreicht.

In vielen Städten tut sich was: Die Superblocks in Barcelona zeigen den Vorteil einer klimafreundlichen Umgestaltung: man kann sich frei und sicher bewegen. Auch in vielen Vierteln in Wien zeigt sich: In kurzer Zeit ist es möglich, Städte klimafreundlich und „sicherer“ zu machen.

Mats Bednarczyk verweist auf sechs Erfolgsbedingungen für neue Narrative:
1. Glaubwürdige Akteure,
2. Anschlussfähige Argumentation,
3. Offenheit & Mehrdeutigkeit (damit möglichst alle mitgenommen werden können!),
4. Bezug zu aktueller Situation oder Historie,
5. Kommunizierbare Probleme, 6. Verständliche, alltagstaugliche Sprache.
„Es muss deutlich werden, dass man was bewirken kann! Die Chancen neben einer Emissionsverringerung müssen verdeutlicht werden. Es geht nicht nur um Klimaschutz an sich als Selbstzweck!“
Mats Bednarczyk ist optimistisch: „Ich hoffe und glaube, dass ich noch in meiner Lebenszeit erlebe, mit dem Rad sicher durch viele klimaschonende und begrünte Großstädte fahren zu können.“
In Klimagesprächen sollten positive Erzählungen ermöglicht werden. Das kann auch im Gespräch über den Kurzfilm ‚Ihr habt es in der Hand‘ gelingen. Z.B., indem man das Klimagespräch wie folgt beginnt:
„Der Film zeigt, was auf uns zukommt, wenn wir die Erderhitzung nicht bremsen, aber er erzählt auch viele positive Geschichten über Klimaschutz. Welche negativen und welche positiven Geschichten erzählt der Film? Und wie wirken diese Geschichten auf Euch?“
Das Theaterstück ATLAS im Deutschen Schauspielhaus Hamburg auf der Basis der Correctiv-Recherche sei ein weiteres gutes Beispiel für gute Klimakommunikation:

ATLAS | Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Das Problem mit dem Ökostrom

Handeln können Schülerinnen und Schüler z.B. auch, wenn sie ihre Eltern oder den Schulträger dazu bewegen, nicht mehr „Graustrom“, sondern echten Ökostrom zu kaufen. Denn Energieerzeuger produzieren Strom und Herkunftsnachweise und mit diesen kann man sogar Kohlestrom grünwaschen, auch wenn er als 100% Ökostrom gelabelt wird. Durch den Ankauf von Herkunftsnachweisen aus schon bestehenden alten Wasserkraftwerken werden die auf dem Markt gehandelten Nachweise ein klein wenig teurer, aber ein solcher grauer Ökostrom hat kaum Lenkungswirkung. Nur wenn direkt bei Ökostrom-Herstellern Strom + Herkunftsnachweis gekauft wird, hat man einen Impact. Eine Studie zeigt, dass nur ganz wenige „100%-Ökostrom-Anbieter“ wirklich dazu beitragen, neue erneuerbare Energie-Anlage aufzubauen. Im Robin Wood Ökostrom Report wurden 1271 Ökostrom-Anbieter überprüft. Empfohlen werden nur 10 Anbieter (Ökostrom-Report 2025 | ROBIN WOOD e.V.).

„Medienkompetenz ist wahnsinnig wichtig!“
Die Correctiv-Recherche, die am Schauspielhaus in Hamburg gespielt wird, hat gezeigt: Es gibt mächtige Netzwerke, die gegen Klimaschutz agieren. Und man sollte anerkennen, „dass Geringverdiener durch Klimaschutzpolitik belastet werden, ist als Kritik auch richtig“! Aber Schülerinnen und Schüler sollten lernen zu fragen: „Wo kommt die Kritik her? Will sie mich in eine bestimmte Richtung beeinflussen?“
Eine Stunde voller Fragen!
Im Austausch nach dem Vortrag beantwortete Mats Bednarczyk eine Stunde lang Fragen:
- Wie schätzt Du das Klimageld ein? Sollte es direkt ausgezahlt werden, wie es von allen demokratischen Parteien im letzten Bundestagswahlkampf versprochen wurde? Oder sollte es für Investitionen in die Energie- und Klimawende verwendet werden?
- Wie Heizung cool thematisieren?
- Wieso ist der Nachweishandel eigentlich erlaubt?
- Renaturierung: Was bringt das? (Energiepflanzen und Moore haben den größten Impact)
- Gibt es Zahlen dazu, wann sich Investitionen in Klimaschutz und Energiewende rentabilisieren? Wann die Anfangsinvestitionen auszahlen?
- Welche Tipps hättest Du für uns Lehrkräfte, Fehlvorstellungen auszuräumen: zu wenige Heizkörper für Wärmepumpen, zu wenig seltene Erden für E-Autos.
- Wie lange dauert es und was fließt ein, wenn ihr Photovoltaik-Anlagen baut?
- Wie erklärst Du Dir das Zustandekommen und den Erfolg des Hamburger Klimaentscheids Neutralität 2040?
- Arbeitet ihr mit Klimaschulen in Hamburg zusammen?
- Wie finanziert sich Klimaschutz und Klimabildung an Schulen?
- Wie würdest Du argumentieren, wenn die SV einer Schule eine Balkonphotovoltaik besorgt und an der Schule anschließen will? Und der Schulträger das dann mit seltsamen Sicherheitsregeln verbietet?
Mats Bednarczyk würde den Schulträger, der Balkonkraftwerke auf dem Schulgelände verbietet, auf das Gesetz hinweisen, das Balkonkraftwerke erlaubt und mit den Stadtwerken sprechen, die für das örtliche Stromnetz verantwortlich sind.
Die CO2-Steuer würde Bednarczyk als Klimageld direkt auszahlen:
„Die Menschen sollten durch das Klimageld konkret spüren können, dass sie auch von der CO2-Steuer profitieren können. Deshalb bin ich klar für die direkte Auszahlung. Ich wäre für eine nach Einkommen gestaffelte Auszahlung, weil die Menschen immer nur die Kostenzunahme mitkriegen, nie aber die Entlastungen.“
Im Anschluss an den spannenden Vortrag fuhr Mats Bednarczyk zurück nach Hamburg. Als Lektüre für die Zeit im Zug nahm er die Broschüre mit, die der Klimarat entwickelt hat (zum Download in vier Sprachen auf der Homepage des Studienseminars):

Hier finden Sie die Präsentation zum Download:

































































































































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